Dr. Caroline von Kretschmann leitet als Eigentümerin und geschäftsführende Gesellschafterin den Europäischen Hof Heidelberg in vierter Generation. Im Interview berichtet die ehemalige Unternehmensberaterin über anfängliche Hürden, ihren persönlichen Führungsstil und die Vision des Hauses.
Wie bist du als Quereinsteigerin in der Hotellerie in dieses wunderschöne Traditionshaus gekommen?
Ein Familienunternehmen übt häufig einen unglaublichen Sog auf Nachfolger aus, dem konnte ich mich auf Dauer auch nicht entziehen. Ich habe ursprünglich gedacht, ich bleibe Unternehmensberaterin. Doch meine
Eltern, die das Haus damals schon 45 Jahre mit großer
Leidenschaft erfolgreich leiteten, boten mir und meiner Partnerin den Einstieg an. Dies verneinten wir zunächst. Mein Leben und meine Tätigkeit in der eigenen Unternehmensberatung in Berlin waren auch sehr erfüllend. Doch dann war es Liebe auf den ersten Blick: Eine Hospitation genügte, und jetzt bin ich schon seit über zehn Jahren sehr glücklich hier.
Viele unserer Kollegen behaupten, dass es mit Quereinsteigern schwierig sei. Hast du viele Widerstände
zum Beginn deiner neuen Laufbahn gehabt?
Mein Handeln wurde tatsächlich von einigen Branchenprofis kritisch beobachtet und meine Kompetenzen für die Aufgabe skeptisch hinterfragt. Schließlich brachte ich keine Hotelfachausbildung oder Branchenkenntnisse mit. Mittlerweile ist das anders, ich habe meine Leidenschaft entdeckt, mir das Branchenwissen erarbeitet, den Europäischen Hof Heidelberg als Unternehmen durchdrungen und Erfahrungen gesammelt. Das spüren und respektieren nun auch unsere Kollegen. Überhaupt glaube ich, dass Quereinsteiger sehr befruchtend für Unternehmen sein können.
Du bringst alle Eigenschaften einer erfolgreichen Führungspersönlichkeit mit: Du bist charmant. Du hast einen wunderbaren Umgang mit deinen Mitarbeiter:innen. Du hast Stil. Und das Hotelgeschäft liegt quasi in deiner DNA. Was macht für dich eine gute Führungskraft aus?
Vielen Dank für die Blumen, lieber Carsten. Entscheidend ist aus meiner Sicht eine wertschätzende Haltung, Empathie und ein aufrichtiges Interesse am Gegenüber. Wir versuchen im Europäischen Hof, die Menschen an die Stelle im Unternehmen zu setzen, an der sie lieben, was sie tun, und dadurch voll zur Entfaltung kommen können. In meinem Selbstverständnis habe ich als Führungskraft meine Aufgabe erfolgreich erfüllt, wenn der Mitarbeiter in seinem Aufgabenbereich besser ist, als ich es dort je sein werde. Eine Führungskraft muss die Größe besitzen, andere groß werden zu lassen. Und im Idealfall größer als man selbst. Ich stehe hinter jedem einzelnen Kollegen und jeder einzelnen Kollegin im Europäischen Hof. Wir haben alle eine sehr herzliche
Beziehung zueinander, sind wie eine große Familie. Ehrlichkeit, Authentizität, Nahbarkeit und Verbindung
sind entscheidend, denn dadurch erreicht man die Menschen wirklich. Wir leben das nach innen und außen. Wir teilen Informationen und Know-how offen, auch mit unseren Marktbegleitern, denn unsere Unternehmensphilosophie ist ganzheitlich und schließt auch erweitere Kreise mit ein. So sind wir auch tief davon überzeugt, dass es uns nur gutgehen kann, wenn es allen anderen auch gutgeht. Dieses Urprinzip der Menschlichkeit leben wir jeden Tag im Kleinen und im Großen.
Das heißt, geteiltes Wissen ist also doppeltes Wissen?
Absolut. Es geht aus meiner Sicht um Kooperation statt um Konkurrenz. Ich glaube, dass wir nur zusammen diese Branche stark machen können. Die Welt um uns wird zunehmend komplexer und vernetzter. Dem müssen wir gerecht werden. Ich würde mir wünschen, dass wir uns noch viel mehr vernetzen, noch viel mehr voneinander lernen und viel mehr teilen. Jedes Unternehmen, das erfolgreich ist, Werte lebt, Kollegen fair behandelt und nachhaltig wirtschaftet, ist gut für uns alle.
Nun ist der Europäische Hof Heidelberg eines der 101 besten Hotels Deutschlands. Dabei ist Heidelberg kein einfacher Markt. Wie sieht denn die aktuelle Situation bei euch aus?
Der Heidelberger Markt ist tatsächlich herausfordernd für ein Luxushotel. Natürlich freuen wir uns über einen relativ hohen revenue per available room für eine deutsche Kleinstadt. Das liegt daran, dass wir uns klar als Markt- und Preisführer positioniert haben. Selbst in der gästearmen Lockdown-Phase sind wir unseren Preisen treu geblieben. Das ist in meiner Wahrnehmung nicht nur für uns, sondern für den Hotelmarkt insgesamt sehr wichtig. Die Rahmenbedingungen für unser Fünfsterneprodukt sind dennoch schwer. Heidelberg hat nur
160 000 Einwohner, keine eigene Messe, keinen internationalen Flughafen. Wir haben nicht einmal einen ICE-Anschluss. Auch außergewöhnliche Shoppingmöglichkeiten fehlen, was unser Zielpublikum normalerweise erwartet. Das Heidelberger Schloss, das sehr gute kulturelle Angebot und die Schönheit der romantischen Stadt in schöner Natur können die aufgeführten fehlenden Erfolgsfaktoren für einen wirklich profitablen Betrieb eines Luxushotels schwer kompensieren. Das ist sicher auch der Grund, warum wir das einzige Fünfsternehotel in der Umgebung sind und größere Hotelgruppen bisher davon abgesehen haben, mit einem weiteren Luxushotel in den Markt einzusteigen.
Kultur ist ein gutes Stichwort und ein wichtiger Bestandteil eurer Unternehmensphilosophie. Ihr polstert eure Sofas noch selbst. Deine Mutter begrüßt morgens beim Frühstück eure Gäste und kümmert sich um das einzigartige Ambiente.
Was ist die Idee hinter eurer Unternehmenskultur?
Einige Dinge sind tatsächlich aus der Not heraus geboren. Wir sind eines der wenigen privat geführten Fünfsterne-Stadthotels ohne kapital-starken Investor oder Sponsoren im Hintergrund. Wir müssen sehr bedacht und wirtschaftlich handeln, damit am Ende des Jahres zumindest eine schwarze Null die Bilanz anführt. Deswegen haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und machen sehr viel selber: Stühle werden meisterlich gepolstert, Vorhänge aus schönstem italienischen
Stoff genäht und Parkettböden verlegt: Wir haben zwei Elektriker, einen Schreiner, einen Polsterer, zwei Maler und zwei Schneiderinnen. Ein großartiges Team. Vieles geht hier im wahrsten Sinne des Wortes durch unsere achtsamen Hände. Das schätzen auch unsere Gäste sehr, denn Sie spüren, wieviel Liebe und Aufmerksamkeit in jedem Detail steckt.
Was sagen denn die Gäste? Warum kommen sie immer
wieder?
Unsere Gäste freuen sich immer besonders auf unsere Kolleginnen und Kollegen, die gelebte Empathie und das gesamte Miteinander. Unsere Kollegen machen einen echten Unterschied und diesen USP haben wir zum Leitgedanken gemacht. Wir wollen das herzlichste Fünfsternestadthotel Deutschlands werden, das ist seit 2013 unsere Vision. Und tatsächlich spiegeln uns unsere Gäste, dass Sie bei uns eine herausragende Herzlichkeit erleben. Diese kann man aus meiner Sicht nicht schulen oder trainieren, die ist vorhanden oder eben auch nicht. So suchen wir die Menschen für unser wunderbares Team hauptsächlich nach der Herzensbildung aus. Unsere Kolleginnen und Kollegen lieben, was sie tun und
vor allem, Menschen glücklich zu machen. Das spüren unsere Gäste, und an so einen Ort reisen sie dann auch gerne wieder.