Dietmar Müller-Elmau lebt und arbeitet an dem Ort, an dem er geboren und aufgewachsen ist: Schloss Elmau. Der Hotelier, der eigentlich gar keiner sein will, liebt Kunst und Musik. Er hat mit dem Wiederaufbau des Schlosses sein ganz eigenes Ideal von Freiheit in Form des Grandresorts inszeniert. Im Interview mit Carsten K. Rath gibt er Einblicke in seine Philosophie.
Sie haben Hotelmanagement und Computer Science studiert, sind Betriebswirt und vor allem Philosoph. Wie passt das zusammen?
Dietmar Müller-Elmau: Ich habe einen Abschluss in Hotelmanagement gemacht, obwohl ich das eigentlich vermeiden wollte. Das ist der Vorteil von einem Degree in Amerika, hier hat der Student zeitliche und inhaltliche Freiheiten. Ich habe das Studium auf ein halbes Jahr verkürzt, ein halbes Jahr im Resort Sonnenalp gearbeitet und mir die restliche Zeit über meine Computerkenntnisse angeeignet.
Die Frage, die die meisten Philosophen umtreibt, ist: „Wer bin ich genau?“ Wer sind denn Sie?
Dietmar Müller-Elmau: Ich bin der, der ich bin. Aber ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Es ist unmöglich, sich selbst zu kennen, ich habe so viele Interessen und Identitäten. Ich interessierte mich immer stark dafür, was ich um mich herum sehe. Eines ist sicher: Ich bin ein Widerspruch.
König Ludwig ist für mich ein Gigant der Philosophie in der Kunst des Widerspruchs. Er hat es verstanden: Ich bin, der ich bin, ohne zu definieren, was das ist. Denn, wenn ich mich definiere, bin ich schon wieder nicht mehr. Widerspruch bedingt auch die Fähigkeit, andere Sachen zuzulassen. So entsteht Freiheit.
Woher kommt dieser scheinbare Widerspruch: Sie studierten Computer Science und setzen sich gleichzeitig mit sich selbst im philosophischen Bereich auseinander?
Dietmar Müller-Elmau: Meine Auseinandersetzung mit mir selbst war im Wesentlichen über die Meditation geprägt, nicht über den intellektuellen Zugang. In der Meditation geht es darum, Stille zu erleben. Als Kind habe ich ein faszinierendes Buch in die Hand bekommen, „Der Atem Indiens”. Der Autor hat dieses Buch in Elmau 1954 geschrieben, in dem Jahr, in dem ich geboren wurde. Ein wunderbarer Zufall, das Buch hat mich sehr fasziniert.
Sie haben selbst ein Buch geschrieben, mit dem schüchternen Untertitel „Eine deutsche Geschichte“. Ihr Großvater, Theologe und Philosoph, hat Elmau gegründet und sich schon damals sehr stark auf die Kultur besonnen. Als das Haus dann abgebrannt ist, haben Sie es neu aufgebaut. Ist Elmau ein politisches Projekt?
Dietmar Müller-Elmau: Es ist ein politisches Projekt für mich, ein persönlicher Ausdruck meiner Freiheit. Für meinen Großvater war der Urlaub die Freiheit vom „Ich“. Denke nicht an dich und du wirst eins mit der Natur. Ich wollte schon immer meine eigene Freiheit leben. Der Ansatz meines Großvaters verkörperte für mich einen Zwang. Für mich bedeutet Freiheit immer eine Wahl zu haben. Ich will denken und machen, was ich will. Insofern war ich immer ein Rebell gegen diese Art von Urlaub.
Musik und die Liebe zur Musik sind für mich ein künstlerischer Ausdruck von Freiheit, die jeder anders erleben darf. Ein Leben ohne Musik und Literatur ist für mich undenkbar. Wenn die Seele etwas schön findet, dann möchtest du es besingen oder beschreiben.
Gestatten Sie mir einen kurzen Rückblick auf Ihre Beziehung zum Judentum, zu dem Sie eine hohe Affinität haben. Warum ist diese Kultur für Sie so wichtig?
Dietmar Müller-Elmau: Ich bin mit jüdischen Freunden groß geworden. Aber ich glaube, meine Affinität hängt mit meiner Mutter zusammen. Meine Mutter wurde calvinistisch erzogen und im Calvinismus gilt ein anderer Begriff der Freiheit als im Protestantismus: Es kommt auf die Leistung an, der Mensch hat eine, auch soziale, Verantwortung.
Ich bin immer wieder Leuten begegnet, die zufälligerweise Juden waren, für diese Menschen ist Freiheit das Wichtigste. Die Meinungsfreiheit ist dort natürlich ein ganz anderes Gut als bei uns, und das Allerwichtigste: Ich kann Gott widersprechen.
In Ihrem Haus haben sich schon viele Politiker getroffen, zum Beispiel im Rahmen des G7 Gipfels. Welche politische Dimension hat Elmau wirklich, und wie wirkt sich das auf den Hotelbetrieb aus?
Dietmar Müller-Elmau: Für mich ging es an diesem Ort um eine Transformation der Geschichte. Für meinen Großvater waren Freiheit und Individualismus der Feind. Er war der Meinung, dass Dinge, die sich nicht von selbst entwickeln, keinen Wert besitzen. Dieses antiwestliche Ressentiment politisierte er.
Ein Politiker muss ständig Entscheidungen treffen, abwägen, einordnen und Kompromisse finden. Genauso verhält es sich in einem Hotelbetrieb. Mit Kompromissbereitschaft bedienen wir unsere Gäste. Elmau hat das Glück, dass wir sehr viele Kinder beherbergen. Unser Haus ist ein vier- Generationen-Ort. Kinder durchbrechen Hierarchien, für sie zählen Statussymole nicht. Wir sind auch in unserem Führungsstil sehr egalitär. Wir leben Gleichberechtigung auf Augenhöhe mit unseren Gästen und Mitarbeitern.
Uns besuchen Gäste, die ganz normale Berufe haben. Die sparen das ganze Jahr, um hier Yoga-Kurse zu belegen. Wir präsentieren ein sehr heterogenes Angebot an Zimmern und ziehen entsprechendes Publikum an. Dadurch, dass hier niemand wirklich reinpasst, passen wiederum alle sehr gut hier rein.
Neben Politikern zählen auch renommierte Künstler zu ihren Gästen. Warum fühlen sich Künstler so wohl im Schloss Elmau?
Dietmar Müller-Elmau: Wir haben sehr viel Platz im Hotel und auch außerhalb des Schlosses. Das ist der wohl größte Luxus und extrem wichtig für die Freiheit. Man muss genug Platz haben, um sich aus dem Weg gehen zu können. Als Künstler brauchst du keine geschlossene Gemeinschaft, sondern Weite, Geborgenheit und Freiheit. Der Kontrast zwischen den unverrückbaren Bergen und dem fließenden Bach – zwischen Ruhe und Bewegung wirkt inspirierend. Außerdem ist Tradition für Künstler wichtig, Musiker schätzen die außergewöhnliche Akustik in unserem Saal, Schloss Elmau blickt auf eine sehr lange Musikgeschichte hier im Haus zurück. Dieses Renomme kann man nicht nachahmen. Wir können uns nicht einmal selbst kopieren.
Sie haben die Software-Firma Fidelio und Opera entwickelt, die heute Weltmarktführer in der Hotelleriebranche ist. Erzählen Sie uns kurz die Story dahinter.
Dietmar Müller-Elmau: Alles startete mit dem Hotel Traube Tonbach, das mir den Auftrag für die Entwicklung einer Gästekartei gab. Ich entwickelte damals Software für Industrieunternehmen und Musikagenturen und wollte eigentlich nichts mit Hotels zu tun haben, da sie ständig ihre Anforderungen ändern. Ich fand jedoch eine Lösung, wie die Hotels selbst die Datenbank, die Eingabemasken und Reports ändern konnten. Heiner Finkbeiner war von meiner Idee der User Defineable Software so begeistert, dass er den Vorsitzenden der IT-Kommission des Schweizer Hotelier-Verbandes informierte. Nach einer Präsentation auf dessen Jahresversammlung wurde ich beauftragt, innerhalb von vier Monaten eine komplette Software zu entwickeln und im Hotel Eden au Lac zu installieren. Der Rest ist Geschichte.